von Eric Nauheimer
Ein einziger Schlag auf den Kopf – und alles war anders.
Nichts passte mehr zusammen. Verbrecher hatten ihn entführt und hielten ihn in diesem Keller-Loch gefangen.
Damit war sein bisheriges Leben abrupt beendet. Jetzt lebte er zwar, aber es war nur ein Überleben. Wenn er freikommen würde, würde sein Leben an einer ganz anderen Stelle weitergehen. Es würde keine Linearität geben. Nichts wird so sein wie früher, nichts wie vorher.
Zwischen „vor der Entführung“ und „nach der Entführung“ klafft ein großes Loch. Zu seinem bisherigen Leben würde er nur zurück können, wenn er aus diesem Loch herausfand.
Es gibt auch andere, ähnlich extrem traumatische Erlebnisse, die keine Verbindung zum bisherigen Leben zulassen: Kriegserlebnisse, Naturkatastrophen oder menschengemachte, technische Katastrophen.
Und Entführungen.
Nie im Leben hätte er gedacht, dass er entführt werden könnte! Er hatte gemeinsam mit einem Freund eine Firma gegründet. Sie waren Unternehmer geworden, weil sie zusammen etwas unternehmen wollten. Sein Freund und er hatten viel gearbeitet, weil es Freude machte. Sie hatten Erfolg und Bestätigung. An Geld war er selber wenig interessiert. Seine Frau, Tochter, Sohn und er hatten alles was sie brauchten – nein: natürlich mehr als sie wirklich brauchten. Aber das ist ja bei fast allen Menschen in diesem Land so. Das meiste Geld, das die Firma einbrachte, wurde wieder investiert. Oder weitergegeben: an Stiftungen, wohltätige Organisationen, soziale Projekte – und in Ideen gesteckt, deren Urheber für die Verwirklichung Geld brauchten. Freunde und Berater hatten immer wieder mal davon gesprochen, dass er oder jemand aus der Familie wegen des Vermögens – des vermeintlichen oder tatsächlichen – ein Ziel für Verbrecher werden könnte. Er hatte alle Bedenken als wenig realistisch bezeichnet und abgewinkt. Jetzt war er in diesem Loch.
Für ihn gab es genaugenommen drei:
Das Loch, in dem er gefangen gehalten wurde.
Das Loch, das die Zeit der Entführung in sein Leben riss.
Das Loch, das nach seiner Freilassung sein würde, diese abgrundtiefe Leere.
Er fragte sich, welches wohl das schlimmste sei.
Premiere
(als szenische Lesung) 16. November 2013, in Bonn
(als Theatersück) 23. Mai 2014, Lauterbach
Presse
über die Premiere stand im „Lauterbacher Anzeiger„:
„…Ein Mensch, dessen Leben sich mit einem Schlag auf den Kopf total verändert.“
„…Ein Stuhl, ein Tisch und eine Matratze in einem Raum – das ist das vorläufige Universum des entführten Unternehmers Mirko Wickert. In einem Verließ ist er seinen Entführern ausgeliefert. Nur wenn sie wollen, wird er den Raum lebend verlassen. Rasch treiben ihn die Erkenntnis seiner Gefangenschaft und die damit verbundene Angst an den Rand des Wahnsinns. Sein Verhalten wird absonderlich. Er möchte für die Entführer kochen. Etwas später freundet er sich mit einer Spinne an und spricht mit ihr. In dem Fall geht die Begegnung des achtbeinigen Krabblers und des Entführungsopfers für die Spinne tödlich aus, denn die Gefühlsschwankungen der Geisel klaffen enorm auseinander.“
„…Martin Menner erhielt großen Beifall.“